„… ich war zweimal Flüchtling in meinem Leben“ – Einladung zum Zeitzeugengespräch mit Gerd Klestadt

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Zu unserer Veranstaltung am Freitag, den 27. Januar 2017, anlässlich des Holocaust-Gedenktages, kamen etwa 70 Leute, um unseren Gast, den Luxemburger Zeitzeugen Gerd Klestadt zu hören. Seine Familie musste aufgrund der jüdischen Herkunft in die Niederlande emigrieren und sich ab 1940, nach dem Einmarsch der Deutschen, verstecken. Im März 1943 wurde das Versteck verraten und er wurde mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder in das Durchgangslager Westerbork deportiert. Von dort aus fuhren jeden Dienstag Züge in die Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Buchenwald und Bergen-Belsen. Am 1. Februar 1944 wurde Gerd Klestadt mit seiner Familie in einem Viehwaggon nach Bergen-Belsen verschleppt. Dieser war nur mit 2 Fässern ausgestattet – eines für die Notdurft und das andere mit Wasser. Nach kurzer Zeit war in dem Waggon das Chaos ausgebrochen. Klestadt war 12 Jahre alt als er das KZ Bergen-Belsen überlebte und dort seinen Vater verlor.

Am 15. April 1945 wurde das Lager Bergen-Belsen von den Engländern befreit. 10 000 Leichen verwesten dort unter freiem Himmel. Klestadt war zu diesem Zeitpunkt mit seiner Mutter und seinem Bruder in einem der 3 “schwarzen” Transporte unterwegs. Mit etwa 2000 anderen Menschen wurde der Zug bei Fallersleben (Wolfsburg) von einer amerikanischen Einheit befreit. Ein großer Teil seiner Familienmitglieder wurde in Sobibor, Treblinka und Auschwitz ermordet.

Klestadt erzählte uns eindrücklich von seinem Weg, wie er es geschafft hatte, mit diesen schrecklichen Erlebnissen zu leben. Nachdem er sich jahrelang keine Hilfe geholt hatte, begann er erst in den 90er Jahren, nachdem ihn sein Trauma eingeholt hatte, einen Psychiater aufzusuchen. Erst ab dem Jahr 2000 geht er in Schulen und erzählt dort von seinen schrecklichen Erlebnissen.

Seine Befürchtungen, dass die Themen „Zweiter Weltkrieg“ und „Holocaust“ mehr und mehr in Vergessenheit geraten und auch für viele keine Rolle mehr spielen sollen, bewahrheiten sich in den letzten Jahren immer mehr. Wollten 2005 noch rund ein Viertel aller Deutschen, dass in Deutschland nicht mehr an den Holocaust erinnert wird, wollen 2015 bereits über die Hälfte einen Schlussstrich. Laut einer Untersuchung bei den unter 40-jährigen sind es sogar 77%.

Aber mit welchem Recht verlangen wir einen Schlussstrich? Für viele Überlebende haben die Verbrechen des Nationalsozialismus immer noch große Auswirkungen, wie wir an diesem Abend wieder gelernt haben…

Eingeladen hatte das Institut für Geschichte und Soziales Luxemburg zusammen mit der KulturGießerei Saarburg und der Paul Levi Gesellschaft Trier.